Mein Studium der Gerontologie

Wenn mich heute einer fragt, was ich jetzt,  gut zwei Jahre nach meinem Abitur mache, dann antworte ich wahrheitsgemäß:

 „Ich studiere Gerontologie in Vechta.“

Darauf folgt immer die Antwort: „Bitte was?    Bitte wo?“
Daran muss man sich gewöhnen, wenn man einen unbekannten Wissenschaftszweig  an der zweitkleinsten Universität Deutschlands studiert.

Ich war mir immer sicher, dass ich einen Allround - Beruf haben wollte, einen, der vor allem etwas mit Menschen zu tun haben sollte.

Bei dem Auswahlverfahren war mir sehr schnell klar, mit welchen gesellschaftlichen Gruppen ich nicht arbeiten wollte (z.B. Kinder, Jugendliche oder Behinderte)
Meine Entscheidung stand bald fest: Ich wollte in die Altenarbeit. Doch wie sollte ich es anfangen? Als junger Mensch kennt man außer dem Altenheim kaum Berufsmöglichkeiten in der Arbeit mit alten Menschen. Für mich stand fest, dass ich nicht Altenpflegerin werden wollte. Doch auch Heimleiter erwachsen für gewöhnlich der Pflege oder haben Betriebswirtschaftslehre studiert. Weder das eine, noch das andere waren für mich geeignete Perspektiven.

Ich habe mir deshalb über die Berufsberatung verschiedene Möglichkeiten in der Altenarbeit aufzeigen lassen:
Zum einen kann man nach einer Ausbildung zum/zur Altenpfleger(in) an Fachhochschulen Pflegemanagement oder -wissenschaft studieren. Dies befähigt einen zu übergeordneten Tätigkeiten in der praktischen Pflege. Dabei geht es nicht nur um Pflaster kleben und Betten machen, sondern besonders um Menschenbilder in der Pflege, Mitarbeiterführung, Pflegekonzepte und den Begriff „Lebensqualität“. In den Bereich Pflege fallen auch Themen wie Gewalt, Freiheitsentzug und Sterbebegleitung.
Besonders die Universität Witten/Herdecke hat einen herausragenden Studiengang zur Pflegewissenschaft. Dabei ist aber wieder zu bedenken: Eine Ausbildung in einem pflegerischen Beruf ist Voraussetzung und die Uni Witten/Herdecke ist eine Privatuni und fordert nicht geringe Studiengebühren.
Der Bereich Pflege ist ein sehr weites und noch fast unerforschtes Wissenschaftsfeld, dass noch viele Berufsperspektiven aufzeigt.

Da das Alter aber noch mehr zu bieten hat als Pflegebedürftigkeit und ich immer noch nicht in die Pflege wollte, habe ich mich für die Wissenschaft der interdisziplinären Gerontologie entschieden.
An immer mehr Universitäten in Deutschland entstehen langsam verschiedene  gerontologische Institute. Doch wie in Bremen, Dortmund, Nürnberg/Erlangen oder Kassel sind dies Aufbaustudiengänge für bestimmte Fachrichtungen (wie Soziologie, Psychologie/Psychiatrie oder Sozialarbeit) und fordern bereits einen Hochschulabschluss. Man kann also entweder erst eine Disziplin zu Ende studieren und dann die gerontologische Richtung weiterverfolgen oder man kommt nach Vechta. Denn den einzigen bundesweiten grundständigen Studiengang für Gerontologie gibt es an der Hochschule Vechta.
Hier studiert man interdisziplinär, d. h. dass das Studium eine große Spannweite  von Wissenschaften aufweist. Der Studienplan beinhaltet Veranstaltungen zur  Rechtswissenschaft, Betriebswirtschaft, Sozialpolitik, Soziologie und Psychologie, Methodenlehre, Biologie/Medizin, Philosophie/Anthropologie sowie weitere spezielle Themen (Gewalt, Drogen, Literatur und Kunst).
Vorteilhaft an einer solchen Ausbildung ist, dass man lernt, wie z.B. Juristen, Ärzte oder Soziologen denken. Dies ermöglicht einen Überblick und ein Denken in Zusammenhängen, weil man wirklich sehr umfassend studiert und die Situation alter Menschen besser begreift, als wenn man nur pflegerische Aspekte erlernt. Andererseits muss man sich immer bewusst sein, dass man nur Ausschnitte der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin vermittelt bekommt. Zum Beispiel erlernt man im Bereich der Psychologie primär Entwicklungspsychologie und psychologische Veränderungen im Alter. Psychologie hat aber natürlich noch mehr zu bieten. Andererseits werden in dem Studiengang der Gerontologie auch die Denkmuster der Sozialpolitik und Betriebswissenschaft vermittelt, die ein Psychologe sonst nicht kennen lernt.
Zusammengefasst heißt das, dass Gerontologie die Wissenschaft ist, die sich mit körperlichen, seelischen und sozialen Vorgängen des Alterns auseinander setzt.

Die Berufsaussichten für Gerontologen sind nach wie vor erstaunlich gut. Die demographische Entwicklung führt dazu, dass immer mehr Ausgebildete gesucht werden, die mit alternden Menschen umgehen können. Als Gerontologe kann man verschiedene Wege einschlagen, d.h. man entscheidet sich für die eigene Spezialisierung. So kann man sich der Versorgung Hilfsbedürftiger zuwenden und in Altenpflegeeinrichtungen gehen. Hier hat man neben der Möglichkeit des Heimleiters auch die Wahl zu Qualitätsmanagement oder sozialen Diensten. Auch der Bereich der Sterbebegleitung und Trauerarbeit ist ein mögliches Berufsfeld und außerdem sucht der Staat für Ministerien und Ämter Menschen, die mit den Problemlagen alter Menschen umgehen können. Dazu gibt es die freien Wohlfahrtsverbände und private Unternehmen der Altenhilfe, die dringend Gerontologen brauchen, um übergreifende Konzepte zu entwickeln. Es zieht aber auch manche in die Forschung, den Journalismus oder in die freie Wirtschaft, um Werbung, Marktforschung oder bei Reiseunternehmen Reisen für Senioren zu entwickeln... Es gibt wirklich viele Möglichkeiten für Gerontologen und das sind längst nicht alle.


Zur Hochschule Vechta:
Die Hochschule Vechta ist sehr klein. Seitdem die Katholische Fachhochschule Norddeutschland integriert wurde, schaffen wir es jetzt auf knapp 3000 Student(inn)en.
Bis jetzt ist der Bereich der Gerontologie so klein, dass alle Dozenten die Studierenden mit Namen ansprechen und man in der Mensa (die beste Deutschlands!!) mit ihnen gemeinsam zu Mittag isst.
Andererseits ist die Uni Vechta wohl eine der ganz wenigen Hochschulen, die zur Zeit erweitert wird. Unter dem Titel „Studium Mensch“ wird ab Wintersemster 2005 der Studienbereich „Soziale Dienstleistung“ eingeführt. Hier hat man die Möglichkeit erst einen Bachelor und dann den Master der Gerontologie zu absolvieren.
Wie das laufen wird und was anders ist als bei meinem Diplomstudiengang, kann ich leider noch nicht berichten. Bekannt ist jedoch, dass mit der Einführung des Bachelor-Abschlusses eine Zulassungsbeschränkung auf 80 Plätze für die Gerontologie eingeführt worden ist. Der Studiengang ist offenbar so begehrt, dass man sich inzwischen bemühen muss, genommen zu werden. Die Auswahl läuft uni-intern und nicht über die ZVS:  Rechtzeitig bewerben!
Ansonsten ist es an der kleinsten „Massen-Uni“ Deutschlands (die Veranstaltungsräume sind einfach zu klein) ganz beschaulich, nett und familiär.

Da die Stadt Vechta einfach mit diesem Studium verbunden ist, finde ich, dass hier noch einige Worte über sie verloren werden müssen. Die Kreisstadt Vechta liegt im südlichen Oldenburger Münsterland, genau im Dreieck von Osnabrück, Bremen und Oldenburg. Vechta ist sehr kleinbürgerlich und hat in seiner Erscheinung eher was von Lobberich als von Viersen.Trotzdem bietet die Stadt mehr Möglichkeiten als man zuerst vermutet. Man muss sich eben damit abfinden, dass man auch hier auf dem Land lebt, kann aber so dem Landleben auch weiter frönen. Es ist wirklich kaum anders als in Nettetal, außer, dass man zu jeder Tageszeit „Moin!“ sagt und sich auf den Stoppelmarkt freut. Aber immerhin kann man auch hier in einer halben bis einer Stunde in den drei großen Städte sein.
 
Wer Gerontologie in Vechta studieren möchte, sollte sich am Ort umsehen und sich vor allem so früh wie möglich um einen Studienplatz bemühen.

Alles andere, das Studentenleben, die Budensuche usw. ergibt sich so wie in anderen Universitätsstädten auch.

Sarina Strumpen, Abiturjahrgang 2003