Evolutionäre Innovationen durch Symbiogenese

Eine ausgezeichnete Facharbeit – Ein Interview mit Lukas Wirtz / von Niklas Pies (JS 13)

 

Schüler der Jahrgangsstufe 12 kennen das Thema: Facharbeit. Drei Monate Zeit haben die Schüler, um ein selbst ausgewähltes Thema, welches eine Klausur im jeweiligen Fach ersetzt, ausführlich zu bearbeiten. Da liegt es auf der Hand, dass die meisten Schüler ein Thema ihres Lieblingsfaches auswählen. Schließlich soll eine so aufwendige und zeitintensive Arbeit ja auch Spaß machen.  Sollte es ein Schüler oder eine Schülerin schaffen, gar eine herausragende Facharbeit zu schreiben, so sind die Lehrer bemüht, diese Arbeiten an Stiftungen weiterzureichen, die diese dann - so hofft man - auszeichnen.

So geschehen ist das bei Lukas Wirtz, der diesen Sommer sein Abitur am Werner-Jaeger-Gymnasium in Lobberich gemacht hat. Ausgezeichnet wurde er von der Stiftung „Evolution“ für die Erweiterung seiner Facharbeit im Bereich Biologie.

Die Stiftung „Evolution“ wurde am 1. April 1998 gegründet und unterstützt Themen, die der Verbreitung des Evolutionsgedankens dienen. Zurück geht sie auf eine Spende des am 27.02.1993 verstorbenen W.A. Brambring. Als Anhänger des Evolutionsgedankens vermachte er einen Teil seines Erbes der Weiterentwicklung und Verbreitung dieses Themas. Die Stiftung bietet finanzielle Unterstützung für Themen, die in dieses Muster passen. Um dies zu prüfen, werden die verschiedenen Themenvorschläge vorher von einem Gremium bewertet und ausgewählt. Lukas Wirtz' Vorschlag, seine Facharbeit, die sich mit Biomembranen beschäftigte, um die Endosymbiontentheorie der Evolutionsforscherin Lynn Margulis zu erweitern, erweckte das Interesse des Gremiums, das den Schüler fortan finanziell unterstützte, damit er die teils teure und auch schwierig zu erstehende Fachliteratur erwerben konnte, die er für eine ausführliche Arbeit benötigte.

Als ich von der Auszeichnung erfuhr, interessierten mich die Hintergründe und der Ablauf dieser Arbeit unter dem Titel „Evolutionäre Innovationen durch Symbiogenese“. Ich traf mich dazu mit dem Schüler und lies mich von ihm über seine Facharbeit unterrichten. Besonders interessierte mich der ungewöhnliche Titel, der mich auf den ersten Blick eher verunsicherte, als mir das Thema seiner Facharbeit erschließen ließ.

Lukas Wirtz: „Das stimmt. Dieser Titel scheint zunächst kompliziert, weil er einer kleinen Erklärung bedarf: „Evolutionäre Innovationen“ sind die Triebfedern der Evolution. Es handelt sich um erbliche Veränderungen, die sich positiv für den Organismus auswirken, sich im Laufe der Evolution erhalten und damit zu einer Neugestaltung von Organismen führen.
Meine Arbeit handelt von einem Teil dieser Innovationen, denen in Lehrbüchern der Evolution ein viel zu geringer Stellenwert zugeschrieben wird. Nur am Rande erwähnt, wird ihre eigentliche Bedeutung ungenügend herausgestellt - gemeint sind: „Evolutionäre Innovationen durch Symbiogenese“. Den Begriff „Symbiogenese“ habe ich  im Rahmen meiner Arbeit, wie folgt, definiert: „Symbiogenese ist der Prozess der Entstehung bzw. Entwicklung einer einheitlich neuen Art durch die symbiotische Beziehung von (mindestens zwei) Organismen unterschiedlicher Art.“ Was eine Symbiogenese im Detail ausmacht, habe ich in meiner Arbeit erklärt. Weiterhin möchte ich mit meiner Arbeit eine neue bzw. andere Sichtweise auf das Evolutionsgeschehen eröffnen. Es geht nicht darum, etwas Neues zu entdecken - die Endosymbiontentheorie, die im Mittelpunkt meiner Arbeit steht, gilt schon seit Längerem als bewiesen - sondern die Auswirkungen auf unser Verständnis vom Leben richtig zu erkennen und zu deuten. Diese Arbeit richtet sich gegen den wissenschaftlichen Konservatismus, der seit jeher den Fortschritt hemmt.“
„Du erwähntest gerade die Endosymbiontentheorie als Mittelpunkt deiner Arbeit. Was besagt sie und welche Bedeutung hat sie für uns?“
Lukas Wirtz: „Die Endosymbiontentheorie, die durch Lynn Margulis einen hohen Bekanntheitsgrad erwarb, besagt, dass sich im Laufe der Evolution Zusammenschlüsse von Mikroorganismen ergaben, die zur Entstehung von gänzlich neuen evolutionären Linien führten. Ein größeres Bakterium umschloss ein kleineres mit besonderen Fähigkeiten. Das kleinere Bakterium wurde jedoch nicht verdaut und es entstand eine symbiotische Beziehung, in der das größere dem kleineren Schutz bot und das kleinere dem größeren neuartige verbesserte Stoffwechselwege eröffnete. Endosymbiosen mit  enormen evolutionären Folgen ereigneten sich nachweislich zweimal in der Evolutionsgeschichte mit unterschiedlichen Symbiosepartnern. Zunächst entstanden die einzelligen Vorfahren der Tiere und Pilze und durch eine weitere Endosymbiose entstanden die der Pflanzen.
Für uns hat die Endosymbiontentheorie eine außerordentliche Bedeutung. Versteht man sie richtig, führt sie uns zu einem neuen Selbstverständnis. Sie führt uns vor Augen, wer wir wirklich sind: „Symbiotische Lebewesen auf einem symbiotischen Planeten (Zitat: Lynn Margulis)“, denn jede einzelne Zelle unseres Körpers ist ein Produkt der Verschmelzung einst frei lebender Bakterien.“

„Welche Stellung hat diese Theorie in der Wissenschaft?“


Lukas Wirtz: „Das hat sich sehr verändert. Die Endosymbiontentheorie ist nicht neu. Sie wurde bereits 1883 erstmals und 1905 erneut aufgestellt. Aufgrund der damaligen Möglichkeiten, ließ sie sich jedoch nicht beweisen. 1967 formulierte Lynn Margulis die Theorie neu. Auch sie stieß in der Wissenschaft zunächst auf Ablehnung, durch die technischen Verbesserungen wurde sie jedoch belegbar. Heute ist die Endosymbiontentheorie allgemein akzeptiert. Ihr Stellenwert wird jedoch immer noch in vielen Lehrbüchern der Evolution als gering dargestellt.“

„Weiterhin interessiert mich, wie es dazu kam, dass du deine Facharbeit, die jeder Schüler abgeben muss, noch erweitert hast. Was war deine Motivation?“


Lukas Wirtz: „Bereits während meiner Recherchen zu meiner ursprünglichen Facharbeit über Biomembranen stieß ich auf weitere interessante Themen, die mit Biomembranen verbunden sind und mich sehr interessierten. Da der Umfang einer Facharbeit jedoch eingeschränkt ist, konnte ich weitere Aspekte nicht mehr einarbeiten und beließ es bei den Bestandteilen, Eigenschaften und Funktionen einer Biomembran. Unsere Schulleiterin Frau Ponzelar-Warter sprach mich daraufhin an, meine Facharbeit um ein evolutionäres Thema zu erweitern. Sie machte mir auch den Vorschlag, mich dabei an die Stiftung „Evolution“ zu wenden und trat anschließend als Vermittlerin ein. Mein generelles Interesse an biowissenschaftlichen Themen und mein Wunsch in Zukunft biowissenschaftlich zu arbeiten, trieb mich dazu diese Herausforderung anzunehmen.“

„Du hast diesen Sommer dein Abitur bestanden. Wie sieht deine Zukunftsplanung aus?“


Lukas Wirtz: „Zunächst leiste ich meinen Zivildienst. Danach werde ich in Münster mein Studium der Biowissenschaften aufnehmen.“

„Wird es dann vielleicht auch eine ''dritte Facharbeit'' geben?“


Lukas Wirtz: „Da bin ich noch unentschlossen. Ich weiss noch nicht, ob ich neben dem Zivildienst Zeit für solch intensives Arbeiten haben werde. Ich denke, das werde ich spontan entscheiden. Wir werden sehen.“

 

*Symbiose =  Das Zusammenleben von Organismen verschiedener Art zu gegenseitigem Nutzen.