Die Rede von Werner Jaeger

Werner Jaeger

Unser Gymnasium wurde nach dem ehemaligen Mitbürger Lobberichs benannt, der als Philologe Weltberühmtheit erlangte.

 

Geboren wurde Werner Jaeger am 30. Juli 1888 in Lobberich. Er besuchte nach vier Jahren Volksschule die "Katholische höhere Knabenschule" zu Lobberich, einer Zubringeschule, aus der sich das heutige Gymnasium entwickelte. Das Abitur machte er am Kempener Gymnasium Thomaeum. Sein Studium in Marburg und Berlin beendete er 1911 mit der Doktorarbeit "Studien zur Entstehungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles". Die Arbeit machte den jungen Studenten auf einen Schlag in der Fachwelt bekannt.

 

Der 26jährige wurde 1914 nach Basel auf den Lehrstuhl berufen, den einst Friedrich Nietzsche innegehabt hatte. Schon im folgenden Jahre kam Werner Jaeger als Ordinarius nach Kiel, dann 1921 nach Berlin, wo er 16 Jahre lang lehrte. Während dieser Jahre entstanden zahlreiche Textausgaben, Abhandlungen und Monographien, z.B. "Aristoteles" (1924), "Platons Stellung im Aufbau der griechischen Bildung" (1928) und sein Hauptwerk "Paideia" (ab 1934). Die dreibändige "Paideia" (rechts) stellt die Entwicklung der griechischen Geisteswelt von Homer über Platon bis Demosthenes umfassend und eindrucksvoll dar.

Werner Jaeger sieht das Bemühen um die Antike stets in seinem Wert für die Meisterung der Gegenwart. Sein wissenschaftliches Lebenswerk zeichnet sich dadurch aus, dass der Gedanke nie losgelöst vom Handeln betrachtet wird, sondern auch kräftig in die Praxis hineinwirken soll.

Da die Ideen des Humanismus im Gegensatz zur Ideologie des Nationalsozialismus standen, wanderte Werner Jaeger 1936 in die USA aus, lehrte zunächst an der Universität Chicago, ab 1939 an der Harvard-Universität in Cambridge/Mass., wo er am 19. Oktober 1961 verstarb.

 

Im Jahre 1958 wurde das damalige Progymnasium in Lobberich nach ihm benannt. Im folgenden Jahr besuchte Werner Jaeger seine alte Schule, um sich für die Ehre zu bedanken. Sein letzter Besuch fand im Juni 1961 statt. 

 

 

 

Werner Jaeger - Die Rede von 1959

Rede von Prof. Werner Jaeger im Juni 1959 in Lobberich


Die folgende Rede wurde im Rahmen einer Facharbeit durch Daniel Jürgens (JS 13, 2007/08) von einem Tonträger in die Schriftform übertragen. Werner Jaeger hielt diese Rede anlässlich der Namensgebung der Schule mit der Verzögerung von einem Jahr. Zu dieser Zeit war das Werner-Jaeger-Gymnasium noch Progymnasium. Erst 1969 erfüllte sich mit der ersten Abiturprüfung der am Ende der Rede ausgesprochene Wunsch, dass das WJG auch organisatorisch ein Vollgymnasium werden möge. Mit dem Schuljahr 1966/67 begann also damals durch Einrichten der ersten Obersekunda der Eintritt in die damalige Oberstufe und der Ausbau zu einem „Vollgymnasium“. Pon

(Hinweis: Die vorliegende Rede ist aufgrund akustischer Verständnisprobleme an einigen Stellen nicht vollständig. Diese Stellen sind entsprechend (?) gekennzeichnet.)

 

Stellvertretender Herr Bürgermeister, verehrter Dechant, Vertreter des Schulkollegiums, Ihren ausgezeichneten Direktor, meine verehrten Damen und Herren, liebe Schüler!

Hier stehe ich. Es ist schwer zu sprechen und scheint doch so leicht aus der Überfülle dessen, was hier gesagt worden ist und was ich fühle. Schwer, denn es ist überwältigend. Ich hätte nie gedacht in meinen Leben, dass ich das einmal erleben würde und dass es noch dazu nicht nur ein Erlebnis der Ehrung dieser Art ist, sondern dass diese Ehrung von meinem Heimatort und von meiner alten Schule gekommen ist, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Und in der Tat wandle ich hier, oder stehe ich hier, wie im Traum. Ich kann es noch nicht fassen, dass das alles wirklich sein soll. Als damals die Nachricht kam, da der Rat und der Bürgermeister mir kundtaten von ihrem Beschluss, da war ich bereits ganz fassungslos über diese hohe Auszeichnung und über diesen Grad von menschlicher Verbundenheit.

Ich war aber doch sehr traurig, dass ich nicht dabei sein konnte, als die Schule dann hier eröffnet wurde, bis sie auch erwähnt wurde. Nun bin ich hier und dass nun sozusagen dieser Akt noch einmal stattfindet in meiner Gegenwart und ich nun doch noch dabei bin, obgleich so spät gekommen, damals, das rührt und bewegt mich ganz außerordentlich. Und wie kann ich denn aus solcher Bewegung heraus die geeigneten Worte finden, um zu danken. Mein Dank ist tief und unauslöschlich und wenn ich auch sagen darf, dass ich immer mit der Schule und der Heimatgemeinde verbunden geblieben bin, all diese Jahre, so ist es doch eine Erneuerung sondergleichen.

Und ich stehe nicht nur hier, in Ihrem Kreise heute, sondern ich fühle mich hineingestellt von neuem in Ihre Gemeinschaft. Ja, ich möchte ein Wort sagen zu den Schülern, wenn Sie gestatten.

Liebe Schüler! Darf ich denn überhaupt so sagen? Ich bin ja doch nicht Euer Lehrer (Publikum lacht). Ich denke so von Schülern: Das ist nicht ein Stand wie der Soldat oder der Arbeiter oder der Kaufmann. Der Schüler ist der Schüler seines Lehrers oder seiner Lehrer, aber vielleicht kann ich sagen: Liebe Mitschüler?! (Publikum lacht). Ich glaube, das trifft den Nagel auf den Kopf. Denn das, das bin ich doch. Ihr wollt doch auch nicht, dass Mitschüler sind nur diejenigen, die mit Euch auf einer Bank sitzen. Das wäre doch sehr sehr grobsichtig, wenn man in derselben Klasse oder meinetwegen in derselben Zeit in einer anderen Klasse, nein, vom Anfang der Schule an bis auf den heutigen Tag und in alle Zukunft ist die Schule das Verbindende. Da werdet Ihr sagen: Ja, ist das wirklich so? Als Du auf die Schule gingst, da war sie da auf der Neustraße und vor dem Obstgarten Herr Neumann, Hauptlehrer Neumann. Und das war ein kleines, niedriges Gebäude mit drei Klassenzimmern, erst nur mit zwei Klassenzimmern. Ja, und es war da doch alles, alles anders.

Doch nun sind wir in diesem großen stolzen Gebäude hier und wir sind ganz andere Menschen. Es gibt doch auch eine Philosophie, die sagt, da ist nichts, nichts gleich. Das ist der Materialismus. Aber wir sagen - ganz im Gegenteil - was die Schule, die Gemeinschaft der Schule macht, das ist der Geist. Es ist nicht die Schulbank und es ist nicht der Schulraum, es ist noch nicht einmal die gegenwärtige Generation von Lehrern und Schülern. Und dieser Geist, ja von dem ist ja doch dies alles ein Zeugnis und von dem ist es eingegeben. Darum geschieht es, darum kann ich auch ruhig sagen, obwohl ich mich überwältigt fühle von diesem Beweis der Treue und der Würdigung dieser mir zu hoch erscheinenden Ehrung, aber ist dieser Geist, dem wir alle huldigen und der ja weiter unsere Gemeinschaft aufbauen wird. Die alten Philosophen, die Stoiker auch, dachten, dass das Weltfeuer, das den Stoff durchdringt, dass das das eigentlich Wirkliche ist. Und lassen Sie uns einmal so im Bilde das annehmen und sagen, dass ja der Geist, das Feuer, das sich selber nährt wie ein anderer großer Philosoph gesagt hat, im Altertum: Heraklit. Die Alten haben ja alles gewusst. Wir brauchen nicht an unseren (?) - Entschuldigung -. Der Geist, der sich selber mehrt, das Feuer, das sich selber mehrt, das ist es und das muss es schaffen.

Ich sehe hier mit Stolz diese gewaltigen Räume. Ich habe sie noch nicht alle durchschritten, aber ich hoffe, gleich nach dieser Feier werde ich diese Freude auch erleben, das in Augenschein zu nehmen, was da erstanden ist. Es ist gewaltig, imponierend, aber das allein wird es auch nicht tun. Und auch wenn wir es mit immer größeren Zahlen von Schülern erfüllen. Es muss der Geist tun. Man hat da Euch vom Humanismus gesprochen. Das ist ja ein bisschen schwer zu verstehen, was das ist. Das wissen die Gelehrten selber nicht genau. (Publikum lacht). Da gibt es viele Definitionen und die will ich heute Euch ersparen. Aber etwas versteht Ihr doch. Das ist der Mensch ,,homo“ und das Menschliche "humanum". Und da meint das Wort ,,Humanismus“ - ich hasse eigentlich die "-ismen" - allesamt, auch „-ismus“ in dieser Form, denn da wird es gleich so ein Programm und man denkt dann, das kann man so an die Köpfe hängen, wenn sie nur den "-ismus" mit nach Hause nehmen, dann haben sie den Geist. Nein, so ist es nicht.

Der Humanismus, der kommt von dem Humanum, und übrigens, da wir hier in der alten Rektoratsschule sind, die unter geistlicher Leitung stand: Die katholische höhere Knabenschule in Lobberich. So kann ich wohl sagen, dass ich persönlich mir kein "Humanum" denken kann ohne das Divinum. Die zwei sind einander geboren, die Alten auch. Selbst die Sophisten haben geglaubt, dass der Mensch das tempelbauende Wesen, das götterverehrende Wesen ist. Also dieses Humanum mit seinem Divinum zusammen, das ist es, was wir pflegen müssen. Wir wollen keine Ingenieure ausbilden, obgleich wir hoffen, die besten Ingenieure in der ganzen Welt auszubilden, so ganz nebenbei. (Publikum lacht). Und ebenso alle anderen Berufe. Es geht uns nicht um Ausbildung, um Durchbildung, um Vorbildung, sondern um Bildung, um das Formen. Was soll den da geformt werden?! - Der Mensch. Der Mensch, wie ihn die Alten zuerst als Aufgabe aller Erziehung verstanden haben. Alle Menschen haben irgendetwas ausgebildet und haben irgendwelche Paragraphen und Gebote befolgt. Aber die Alten, es waren vor allem die alten Griechen, haben gesagt, wie schwer ist es, ein wirklicher Mensch zu werden. Simonides in der Zeit der Perserkriege, der schrieb diesen Vers: "Ein wahrer Mensch zu werden, das ist schwer; an Händen und Füßen und Geist rechtwinklig, ohne Fehl gebaut." Sollen wir auch ´mal Griechisch sprechen? (Griechisches Originalzitat).

Ja, das ist Humanismus und alles, was wir lehren können. Ob nun alte Sprachen, neue Sprachen, Literatur, Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaft; alles Untertan dieser einen Idee des großen Ziels, das natürlich nie zu erreichen ist und doch immer wieder umkämpft und erstrebt ist. Das möchte ich in dieser Stunde sozusagen zu meinem persönlichen Bekenntnis noch einmal sagen; ich habe es mein ganzes Leben gesagt. Ich habe von einem bestimmten Punkt meiner Arbeit an alles dem untergeordnet, um das noch einmal klar zu machen, weil es nämlich so schien, als würde es immer unklarer, als wären die Menschen nicht mehr im Stande, einen solchen Gedanken zu erfassen. Das ist ja doch auch der Grund, weshalb immer noch Griechen und Römer unter uns sind und wir die klassischen Sprachen lernen. Da kam es her. Die hatten die Idee und haben auch versucht, sie zu versinnbildlichen, zu verkörpern. 

So denn, ich hoffe, dass das, was vorhin als eine Art Versprechen vom Herrn Direktor hier ausgesprochen wurde, immer möglich bleiben wird und in seiner besten Vollendung hier geleistet werden wird; nämlich die Aufrechterhaltung der klassischen Tradition, aus der diese Idee ursprünglich ausgeströmt, die Literatur und das Denken aller Menschen, aller Völker hineingekommen sind. Das wird immer so bleiben müssen. Aber auf der anderen Seite, wie ich schon vorhin sagte, es ist nicht nur durch die klassischen Sprachen, dass wir humanistisch erziehen wollen. Alles ist ein Werkzeug dafür. Was man früher Realschule nannte, das war genauso humanistisch im Sinne der Griechen, das wollen wir ja nicht vergessen! Es kommt nicht auf das "Was?" an, sondern auf das "Wie?". Und da nun bin ich sicher, dass in dieser Schule der rechte Weg immer bewusst sein wird.

So stehe ich hier voll Stolz darauf, dass mein Name mit dieser meiner Schule verbunden bleiben soll. Die größte Ehre, die ich mir denken kann. Ich bin zwar ein Gelehrter, wie man sagt, aber das Größte scheint mir und so fasse ich meinen Gelehrtenberuf auf, ist der Erzieher und ich habe mein ganzes Leben lang das auch in der Wirklichkeit befolgt. Und ich fühlte mich beinahe geschmeichelt, vor kurzer Zeit, als ich in einer amerikanischen Zeitung, wo stand, dass dieser betreffende Professor Jaeger nun in den Ruhestand tritt, er genannt wurde: „The noted educator.“, - der bekannte Erzieher. Wenn sie nun ´was von Altphilologie gesagt hätten, das wär´ ja auch ganz schön, aber dies hat mir mehr Freude gemacht. (Publikum lacht.). Das traf wirklich den Nagel auf den Kopf und darum gibt mir das auch eine besondere Zuversicht, hier zu Ihnen zu sprechen und hier zu stehen. Und auch denn diese allzu hohe Ehre, in aller Bescheidenheit, Ehrerbietung von Ihnen anzunehmen, denn in diesem Zeichen sind wir alle eins und diesem Ziele dienen wir alle. Und so möchte ich, um es nicht zu lang zu machen, hier schließen mit dem Wunsch, dass die Schule innerlich und ich darf wohl auch sagen äußerlich, weiter wachsen und gedeihen möge. Nicht nur, dass das alte Lobberich nun aus den schlummernden Ortschaften des Niederrheins viele neue Schüler gewinnen möge, sondern dass auch aus dem Pro -...- ja, vielleicht sollte man das besser nicht sagen? ... Ist das erlaubt? ... Ist erlaubt.... Ist erlaubt. Danke sehr.-

Dass aus dem Progymnasium auch ´mal ein Vollgymnasium werden möchte. Vollgymnasium im Sinne der Erfüllung jeder bereits vorhandenen Stufe ist es natürlich schon, aber ich meine auch in dem organisatorischen Sinne. Dass man hier ´mal das Abitur machen kann. Und das wird auch kommen. Das möchte ich nun heute hier prophezeien.

Und mit diesem Wunsch und mit allen anderen guten und gedeihlichen Wünschen für die Zukunft und Gegenwart der Anstalt schließe ich hier mit nochmaligem tiefen Dank für alles, was ich heute hier erleben darf. Es wird in meinem Gedächtnis niemals erlöschen. Und ich hoffe auch noch, lang´ genug zu leben, um noch ´mal aufzutauchen. (Applaus).
                       

Informationen zu Werner Jaeger im Internet

Seminar für Klassische Philologie der Universität Basel. Hier lehrte Werner Jaeger für drei Semester 1914/15

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Werner Jaeger in der Lexicona - Enzyclopaedie und Wissen

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aus Werner Jaegers Demosthenes

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Porträt-Bronze von Werner Jaeger im Harvard-Magazine

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Werner Jaeger in den Gifford Lectures

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Werner Jaeger gründete 1925 den Deutschen Altphilologenverband (DAV)

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